Half Life: Alyx
TL;DR:
13 Jahre nach dem letzten Spiel bringt Valve mit Half-Life: Alyx einen eigenständigen Ableger der Half-Life Serie, der in der Virtuellen Realität überzeugen kann.
Überblick
Half Life: Alyx ist auf den ersten Blick nicht das, was Fans sich seit dem Ende der letzten HL2-Episode im Jahr 2007 gewünscht haben: ein voller Nachfolger mit Dr. Gordon Freeman. Doch wer Alyx Vance in Half-Life 2 als interessanten Charakter empfand wird HL: Alyx schon alleine deshalb lieben. Denn das Spiel erzählt die Vorgeschichte zu HL2 und spielt entsprechend 5 Jahre vor dessen Ereignissen. Aber nicht nur für Liebhaber der Vorgänger ist das mit unzähligen Referenzen gespickte Spiel eine Empfehlung wert. Auch die innovative Spielmechanik und das insgesamt sehr runde VR-Erlebnis sind gute Gründe für den Kauf.
Getestet haben wir das Spiel mit der Valve Index auf einem AMD Ryzen 2700X, 32GB RAM mit GeForce 1080 Ti auf hohen Qualitätseinstellungen und 120Hz. Bei paralleler Aufzeichnung gab es dabei einige Stellen, an denen die Framerate unter 60 fps fiel.
Offizieller Trailer
Die Story
Achtung: Enthält leichte Story-Spoiler
Alyx ist 19, sie beobachtet den Bau der Citadel als ihr Vater Eli Vance vom Combine gefangen genommen wird. Sein Kollege (oder zumindest Beinahe-Kollege) Russell hilft ihr auf dem Weg ihn zu retten und begleitet sie während des Spiels über Funk. Auf der mit viel Spannung, aber auch oft mit einem Zwinkern, erzählten Reise durch City 17 erhält Alyx aber auch Hilfe durch weitere Charaktere. Während sie sich gegen die invasiven außerirdischen Spezies und die Combine-Soldaten verteidigen muss, stellen sich auch viele Rätsel in den Weg, die oft kleine Einblicke in bisher offene Fragen der Half-Life Geschichte bieten.
Nach der Rettung des Vaters geht es weiter um die geheimnisvolle Waffe des Combine unschädlich zu machen, die hoch über der Stadt in einem bunkerartigen Gebäude schwebt. Was diese genau ist, wollen wir nicht verraten. Soviel sei nur gesagt: das Ende bringt der Geschichte von Half-Life: Alyx einen durchaus überraschenden Abschluss, klärt gleichzeitig einige offenen Fragen aus den Vorgängern und ist zudem als auch ein hervorragender Ansatzpunkt für weitere Spiele zu sehen.
Spielmechanik
Grundlegend ändert sich nicht viel im Vergleich zu Half-Life 2: man bewegt sich durch die Welt und kämpft mit Aliens, Combine und anderen Gegnern. Das Spiel ist also definitiv in die Kategorie des storybasierten Ego-Shooters einzuordnen. Allerdings liegt der Fokus noch etwas stärker auf der Geschichte als in den Vorgängern. Die Gegner selbst sind auf normaler Stufe ausreichend schwer, um sich nicht einfach durch das Spiel schießen zu können. Gleichzeitig scheint ihre Anzahl, bzw. ihr auftreten im Vergleich zu normalen Shootern reduziert zu sein. An Stellen, in denen in Half-Life bisher eine Kopfkrabbe auf einen zu sprang, beispielsweise am oberen Ende einer Leiter, herrscht nun Ruhe. Das ist der VR-Umgebung entsprechend auch angebracht, denn die Reaktionsgeschwindigkeit und Präzision ist insgesamt noch nicht auf dem Niveau von Maus und Tastatur. Die meisten Spieler wären deshalb mit zu plötzlichen Angriffen eher überfordert.
Das bedeutet aber keineswegs, dass man ohne angemessene Vorsicht durch die Welt laufen sollte. Wer in VR einmal eine Kopfkrabbe (EN: Headcrab) im Gesicht hatte, möchte die Wiederholung tunlichst vermeiden. Das fühlt sich doch deutlich echter an, als auf dem normalen Monitor.
Abgesehen von den klassischen Gegnern gibt es aber auch ein paar neue Herausforderungen, die auch ganz besonders den VR-Aspekt des Spiels betonen. So kann man sich gegen die aus verschiedenen Quellen entstehenden Gase zum Beispiel eine der herumliegenden Atemmasken aufsetzen, oder zumindest temporär einfach die Hand vor den Mund heben.
Neu sind auch die interessanten 3D-Minirätsel, mit denen Alyx Maschinen, Türen und Behälter öffnen kann. Hierbei nutzt Valve den virtuellen Raum teilweise sehr intensiv. Der Spieler muss beispielsweise dreidimensionale Verbindungen ziehen oder Stromleitungen in der Wand folgen um Kraftfelder an- und auszuschalten. Das funktioniert gut und ist durch Frequenz und Variation der Rätsel auch zu keinem Zeitpunkt nervig.
Auch außerhalb dieser Kernmechaniken kann an vielen Stellen mit der Welt direkt interagiert werden. Gleich zu beginn steht man auf einem Balkon und kann dort das Radio auf eine passende Frequenz ausrichten, die Antenne hochziehen und im sogar mit Filzstiften an die Glasscheibe malen.
VR-Steuerung
Die Frage der Fragen: wie steuert sich Alyx? Insbesondere: was hat Valve sich für seine Index- alias „Knuckles“-Controller einfallen lassen?
Valve gibt dem Spieler eine Vielzahl von Konfigurationsmöglichkeiten, wobei eher in der virtuellen Realität eher anstrengende Optionen bereits vorab verwehrt bleiben. So gibt es für die Laufbewegung die Option des Teleportierens, bekannt aus vielen VR-Spielen, aber auch die Möglichkeit sich per linkem Daumenjoystick linear fort zu bewegen. Für die Körperdrehung wird die lineare Option hingegen von vorne herein ausgeschlossen. Meiner VR-Erfahrung nach eine gute Wahl, denn in Boneworks resultierte diese Steuerung immer in Magenproblemen. Den Winkel der Drehung mit dem rechten Daumenjoystick kann in 15°-Schritten gewählt werden.
Springen erfolgt nicht mit einem normalen Tastendruck; die ruckhafte Bewegung ist in VR-Umgebungen eher unangenehm. Deshalb hat Valve hier einen Teleport-Sprung implementiert. Man zielt mit dem rechten Daumenjoystick an den Ort, an den man sich bewegen möchte. Daraufhin erscheint eine „Sprunglinie“ und als Markierung des Zielortes zwei Fußabdrücke. Lässt man den Joystick los so springt der Charakter an den angepeilten Zielort.
Gelungen ist auch die Ducken-Interaktion. Anstatt einen Knopf gedrückt zu halten muss man hier tatsächlich in die Knie gehen um unter niedrigen Hindernissen durchzukommen. Dies lässt sich optional aber auch auf eine Knopfinteraktion umstellen. Das Spiel bietet also auch ausreichend Konfiguratiuonsmöglichkeiten für stationäre Spieler.
Insgesamt scheint Valve sich intensiv mit der grundlegenden VR-Steuerung auseinandergesetzt zu haben und hat diese sehr gut optimiert. HL: Alyx ist deshalb eines der wenigen VR-Spiele, bei denen keine Übelkeit aufkommt, egal wie lange ich spiele (ymmv).
Nun zum Wichtigsten: Der Interaktion mit der Umwelt mit den Index-Controllern. Gegenstände können recht einfach mit den Triggern aufgehoben werden. Damit man nicht überall hin laufen muss gibt es aber zusätzlich eine Mechanik zum Aufheben von Objekten aus gewisser Entfernung. Hier trumpft Valve auf: Dort, wo Boneworks effektiv und einfach einen Knopfdruck nutzt, hat Valve eine Mechanik eingesetzt, die nicht nur in die Spielwelt passt, sondern nach etwas Übung auch noch extrem Spaß macht. Mithilfe der „Russels“ genannten Schwerkraft-Handschuhe kann man Gegenstände anvisieren und mit einer leichten Handgelenksbewegung zu sich fliegen lassen, als ob diese magnetisch wären. Dann fängt man das Objekt und verstaut es entweder in seinem Rucksack (einfach über die Schulter ablegen) oder wirft es gleich wieder auf den Gegner. Das mag sich erst einmal kompliziert anhören, aber wer gerade einmal ein paar Headcrab-Zombies erledigt hat und schnell ein Magazin heranzieht um es direkt in die Pistole zu stecken wird schnell merken, wie flüssig das funktioniert. Im Gegensatz dazu wird in Boneworks beim nachladen deutlich mehr Präzision gefragt, was schnell mal etwas störend wird.
Diese Schwerkraft-Interaktion knüpft an die Gravity-Gun aus Half-Life 2 an, erweitert sie aber zum zentralen Spielprinzip. Gegenstände aus schwer erreichbaren Umgebungen her zu holen wird damit zur fast selbstverständlichen Herausforderung.
Mit den sehr leichten und angenehm zu tragenden Index Controllern macht das extrem Spaß. Aber auch die weitere Steuerung ist sehr genau auf die neuen Controller angepasst. Es stellt sich sogar die Frage, ob das Spiel für die Controller, oder die Controller für das Spiel optimiert wurden. Aktuell gibt allgemein kein keine anderen VR-Controller auf dem Markt, die sich so gut und intuitiv anfühlen und gleichzeitig so angenehm zu tragen sind.
Das Umschalten zwischen den Waffen und dem Multitool erfolgt über das rechte Touchpad und geht unabhängig von der aktuellen Handposition schon fast zu flüssig vonstatten. Waffenmenü auf, einen kleine Handbewegung nach oben und schon ist die Pistole einsatzbereit.
Die Waffen können mit den bereits erwähnten Upgradepunkten bzw. 3D-Druckharz (engl. Resin) an speziellen Upgradestationen durchgeführt werden. Resin liegt, genau wie Munition, überall auf der Welt versteckt herum, so dass es sich durchaus lohnt, ein paar Schubladen und Schranktüren zu öffnen. Kleine Kisten mit Munition und Heilspritzen gibt es auch und diese können einfach auf dem Boden zertrümmert werden. À propos zertrümmern: nein, es gibt keine Brechstange für Alyx. Ohne Munition ist der Spieler auf das Werfen von Objekten (es liegen meist genügend Backsteine herum) zur Verteidigung angewiesen.
Die Handschuhe werden nach und nach verbessert, erhalten zum Beispiel eine Taschenlampe. Immer sichtbar ist auf den Handschuhen die Lebensanzeige in Form von drei Herzen, die mehrere Zwischenzutände haben können, sowie die Munitionsanzahl der aktuellen Waffe oder, sofern keine Waffe ausgewählt ist die Anzahl der gesammelten Upgradepunkte.
Das funktioniert gut, ähnlich wie der Blick auf eine Armbanduhr. Generell braucht man es nicht, aber wenn die Information benötigt wird, dann geht es schnell. Ähnlich einfach wird auch das Interface der Waffen angezeigt. Bei der Pistole seitlich auf dem Griff, bei der Schrotflinte hinten ist der aktuelle Magazinstand ersichtlich.
Grafik
HL: Alyx holt mit einer sauberen und durchaus sehr detaillierten Optik, die stilistisch sehr nahe an Half-Life 2 liegt, das Optimum für VR heraus. Immersion ja, aber nicht auf kosten der Performance. Die Grafik ist vielleicht nicht das absolute Maximum, das derzeit technisch möglich ist, aber das wäre auch sinnlos, denn aktuelle VR Headsets sind einfach noch technisch noch nicht so gut, als dass sie 4k-Texturen und maximale Effekte darstellen könnten.
Insbesondere das Design der Räume und Maschinen ist mit extrem viel Liebe zum Detail entstanden. An vielen Stellen wird hierdurch die Anwendung der Alien-Technologie sichtbar, die bisher verborgen blieb. So öffnet man an einigen Stellen von außen nach Mechanik/Computer aussehende Maschinen, nur um zu entdecken, dass im inneren außerirdische Organe integriert sind.
Auch die Heilungstationen werden wunderbar plastisch dargestellt. Statt wie in HL2 einfach eine giftgrüne Flüssigkeit einzuspritzen, wird nun eine Kartusche mit einer Riesenlarve geladen, die dann erst einmal zerquetscht wird, bevor diverse Nadeln das heilende Madenmus anwenden.
Ach ja und dass Kopfkrabben offensichtlich sehr schmackhafte Organe haben, wird auch sehr plastisch dargestellt … mjam. Interessanterweise wird das Zuschauer-Fenster auf dem PC-Monitor mit klassischen Interfaceelementen ausgestatte anstatt auf das Interface auf den Handschuhen zu beruhen. Zuschauer sehen hier direkt wie viel Leben, Munition und Resin verfügbar ist. Die kurzen Zwischenladeszenen werden mit einer 3D-Karte der Stadt aufgehübscht, auf der man seinen Fortschritt verfolgen kann. Leider wird die Karte nur in der VR-Brille, nicht in der Zuschauer-Ansicht angezeigt.
Sound
Wie auch in den bisherigen Teilen hat Valve ein Ohrenmerk auf hohe Audioqualität gelegt. Die Sprecher sind von gewohnt hoher Qualität. Die Musik unterstützt punktgenau in spannenden und dramatischen Szenen und durch die Geräusch- und Effektkulisse entsteht eine glaubhafte Welt mit fast spürbaren Interaktionen.
Fazit
Half-Life: Alyx ist ein würdiger Nachfolger der Half-Life Serie und führt die Story in derselben Qualität fort. Gleichzeitig zeigt das Spiel, was aktuell mit „klassischen“ First-Person Spielen in der virtuellen Realtität möglich ist und setzt dabei Maßstäbe in Punkto Nutzerfreundlichkeit und Spielerlebnis. Auch wenn andere Entwickler an einzelnen Punkten noch innovativer sind, schafft Valve es ein extrem rundes Gesamterlebnis zu bieten und setzt damit die Messlatte für Einzelspieler-VR-Spiele hoch an. Zudem lässt das Ende auf eine Fortführung der Serie hoffen. Half-Life Alyx wird den Erwartungen vollends gerecht und ist dementsprechend eine klare Empfehlung.
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Final score
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Half-Life 2, Boneworks