[Dies ist ein Artikel aus unserem Archiv vom Dezember 2016 – das Spiel ist aber durchaus auch Jahre nach seinem Release relevant und einen Blick wert.]
Dies ist ein spoilerfreies Review von The Last Guardian ( v.1.0.2, Plattform: Playstation 4 excl.)
Über neun Jahre lang durften Fans von „ICO“ und „Shadow of the Colossus“ – den beiden ersten und bisher einzigen Werken von Spieledesigner Fumito Ueda (welche unter Kritikern wie auch Spielern gleichermaßen als Meilensteine der Videospielgeschichte gelten) – auf das dritte Spiel von „Team ICO“ warten. Aber hat sich das Warten nun gelohnt? Ich habe eine Weile mit The Last Guardian verbracht und möchte Euch hier ein paar Eindrücke schildern ohne dabei zu konkret zu werden, um vor allem story-relevante Spoiler auszulassen.
Liest man aktuelle Reviews zu The Last Guardian, fällt neben allem Lob vor allem eines auf: Kritik an störrischer KI, veralteter Grafik und umständlichen Spielmechaniken. Kritiken, die sicherlich in Teilen nachvollziehbar sind und vor allem eines zeigen: dass The Last Guardian ein erster Linie als Spiel rezensiert wird und nicht als Gesamterlebnis. „Logisch“, werden viele sagen, „es ist ja schließlich ein Spiel“ – aber ist The Last Guardian primär im eigentlichen Sinne ein Spiel und ist das wirklich so relevant?
Beim meinem ersten Durchlauf war ich zeitweise auch sehr angestrengt von bestimmten Segmenten, die sich dermaßen in die Länge zogen, weil gewisse Mechaniken einfach nicht so funktionieren wollten, wie ich es erwartet hätte. Oft war mir bereits klar, wie eine Szene oder ein Puzzle zu lösen war, aber die Umsetzung scheiterte hin und wieder an spielmechanischen Unsauberkeiten. Dabei stellte die KI von ‚Trico‘, dem Hund-/Katze-/Vogel-ähnlichen Fabelwesen nur selten ein Problem dar – zwar wird diese derzeit oft als störrisch und ungehorsam rezensiert, aber unabhängig davon, ob dies nun ein Zufallsprodukt oder Absicht der Entwickler war, muss ich rückblickend sagen, dass dies im eigentlichen Sinne kein Problem darstellt: Die Geduld, die der Spieler entwickeln muss, bevor ein Segment von und mit dem tierischen Begleiter bewältigt wird, ist vielleicht gerade ein spannendes Element, das Tricos KI authentisch wirken lässt; dieses unberechenbare Wesen, welches gerade nicht durch perfekten Gehorsam wie ein Werkzeug für den Spieler fungiert sondern durch liebevolle Animationen, zufällige Aktionen und einem so empfundenen eigenen Willen lebendig wird, lässt seine KI hier wirklich einzigartig und kaum wie eine „künstliche“ Intelligenz wirken.
Sicherlich ist das Grundkonzept zu The Last Guardian bereits zehn Jahre alt, und dass es ursprünglich für die Playstation 3 konzipiert wurde ist sicher auch in der finalen grafischen Qualität sichtbar, jedoch weiß das allgemeine Weltendesign sowie dessen Präsentation in Kombination mit dem dezenten aber immer emotional stimmigen Soundtrack und der allgemein entwickelten visuellen Ästhetik als Gesamteindruck so fantastisch zu überzeugen, dass die Grafik als solche das Erlebnis nicht mindert – ich habe ehrlich gesagt während des Spielens nicht wirklich darauf geachtet, ob nun alle Texturen scharf sind oder Ähnliches; und wer The Last Guardian für solche Aspekte kritisiert, wird vermutlich insgesamt wenig Freude mit diesem Erlebnis haben.
Während des Schreibens dieses Rückblicks fällt mir vor allem immer wieder auf, wie ich versuche, den Begriff „Spiel“ bei der Beschreibung von The Last Guardian zu vermeiden. Eigentlich freut man sich als Entwickler und Rezensent ja immer, wenn ein Spiel released wird, das zeigt, wie viel mehr Spiele heutzutage sein können als reines Entertainment, und doch fühlte sich dieses so ganz anders an.
Das damalige „ICO“ war ein Rätsel-Spiel mit dem leicht klischeehaften aber dennoch fein umgesetzten Thema der Kraft von Freundschaft; „Shadow of the Colossus“ dann ein Spiel, in dem es sechzehn Boss-artige Gegner zu besiegen galt – eine Geschichte von Obsession und Aufopferung sowie der Frage danach, ob sich der Wert eines Lebens gegen ein anderes aufwiegen lässt (aber dennoch klar eingebettet in den Kontext eines Spiels) – aber bei The Last Guardian, obwohl auch hier Schalter-, Schiebe- und Kombinations-Rätsel gelöst werden müssen, bleibt nach dem Ende überwiegend das Gefühl der Bindung zu dem Fabelwesen sowie die leicht melancholische Note zum Ende des ‚Spiels‘ hängen, einen feinsinnigen Umgang mit der eigenen Umwelt sowie die Koexistenz mit dem „Fremden“ stärker im Bewusstsein halten zu wollen.
Und dann sitzt man da – zwölf Stunden später – die Geschichte ist vorbei. Neun Jahre Wartezeit für diese nun fast schon kurz erscheinenden Momente mit Trico, dem Fabelwesen, das weder Katze, Hund noch Vogel, alle gleichermaßen und doch etwas eigenes zu sein scheint. Das ‚Spiel‘ ist vorbei, und trotz der Ruhe und Stille weiter Teile seiner Welt hallt The Last Guardian nach – deutlich. Bewegt von diesem rührenden Gesamtkunstwerk, einer audiovisuellen Reise, wie man sie noch selten in diesem Medium findet, würde ich mich nun eigentlich gerne in diesem Artikel über dieses Werk und vor allem sein Ende in vollem Umfang auslassen – aber das erlebt jeder wohl am besten erstmal möglichst unvoreingenommen selbst.